Und auf Erden Stille — vor 26 Jahren

Am 17. März 1995 wurde in der Tagesschau eine Meldung vorgelesen, nach der der Wissenschaftsrat der Bundesregierung der damaligen Umweltministerin Merkel ein Papier zur bevorstehenden Klimakatastrophe vorgelegt habe. Am besten selbst anschauen, die Meldung beginnt bei 10’48“ und dauert nur 28 Sekunden:

Die hier genannten 25 Jahre sind nun Vergangenheit. Die Überschwemmungen in NRW werden nun nicht mehr nur von „Öko-Spinnern“ als Zeichen der Klimakatastrophe ernst genommen. Aber auch jetzt gibt es keinen Masterplan. Die New York Times veröffentlichte am 23.7.21 einen Artikel, „Deutschland sei unter Schock und mache daraufhin gar nichts“.

Ebenfalls im Jahr 1995 traf ich mich mit Jochim in Hannover, um wieder mal an einem Amateurhörspiel zu arbeiten. Das hatten wir seit 1986 regelmäßig alle drei Jahre getan. Mein Skript war fast fertig; in den zwei Wochen, die wir uns für die Aufnahmen vor Ort in Jochims WG Zeit genommen hatten, schrieb ich es zu Ende. Der Titel: „Und auf Erden Stille“.

1995 ging es um die schrittweise Aufdeckung einer Verschwörung der „Audiophilia“, einem vermeintlichen HiFi-Enthusiasten-Verein mit viel Geld. Dieser Verein hatte ein Bio-Forschungslabor beauftragt, an Methoden zur Verfeinerung des menschlichen Gehörsinns zu arbeiten. In Wirklichkeit waren die Köpfe der Audiophilia jedoch das, was man heute Öko-Terroristen nennen würde — Menschen, denen die Schritte zur Rettung unserer Lebensgrundlagen nicht schnell genug vorangingen, und denen das Zuschauen und die „Ruhe als erster Bürgerpflicht“ nicht reichten. Die beiden Masterminds planen die Freisetzung eines Virus, der die Empfindlichkeit des Hörempfindens der Menschen, die sich damit anstecken würden, so sehr erhöhen würde, dass in der eintretenden Hyperakusis die menschliche Zivilisation zusammenbräche. Die Menschen könnten keinen Kühlschrank mehr ertragen, keinen TV und schon gar kein Auto oder Flugzeug. Moralische Argumentation der Protagonisten dahinter: lieber jetzt hart handeln und den Lebensstandard einbüßen, als in wenigen Jahren keine Überlebensgrundlagen mehr haben.

Dass so etwas passiert, ist natürlich reine Fiktion. Es wäre ohnehin nie dazu gekommen:

Ich erinnere mich an die Zeit, als ich vor der Revolution in Deutschland war: Eine Gruppe von deutschen Sozialdemokraten kam zu spät zu einem Kongreß, weil sie warten mußten, bis ihre Eintrittskarten nachgeprüft worden waren oder etwas ähnliches. Wann würde ein Russe jemals so etwas tun? Jemand hat einmal ganz richtig gesagt: In Deutschland kann es keine Revolution geben, weil man dazu (ohne Erlaubnis) den Rasen betreten müßte …

DER SPIEGEL zitiert Stalin

Unser damaliges Amateur-Hörspiel schaffte es dank des Interesses von SF-Enthusiast Mike Hillenbrand einmal als fünfteilige Ausstrahlung in den SF-Radio-Webcast (war wohl etwa im Jahr 2000). Aber größere Verbreitung erreichte es nicht. Nicht zuletzt deswegen habe ich mir im Jahr 2019 überlegt, ob die Idee nicht eine Neuauflage vertrüge. Gesagt, getan.

Das nun im Januar veröffentlichte neue Werk unter dem gleichen Titel ist völlig unabhängig von unserem Amateurwerk, aber die Grundidee ist die Gleiche. Es gab eine spezielle Verschwörung, und deswegen existiert die Zivilisation nicht mehr.

Aber warum haben wir als Gesellschaft zwischen 1995 und 2021 nicht gehandelt? Und warum gab es keine Protagonisten, denen die Welt wichtig genug war, sie auch unter harten Konsequenzen zu retten?

In der Diskussion um die neue Hörspielserie kommt diese Kernfrage dahinter nicht vor. Was mir etwa so logisch erscheint wie der sprichwörtliche (ignorierte) Elefant im Raum.

Und das ist eigentlich schon die Antwort, warum wir unser Schicksal weder verhindern werden noch behaupten dürften, wir hätten es nicht verdient.

Kategorie(n): Allgemein

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